Zwischen Verdrängung und Aneignung

Der erinnerungskulturelle Umgang
mit der NS-Vergangenheit in Deutschland.
Gestern – heute – morgen.

Vortrag und Diskussion mit Michael Sturm

15.12.2009 – 19 Uhr – Club Courage
Friedensstraße 42 (Hinterhof)


Mit Geschichte wird Politik gemacht. Während die „alte“ Bundesrepublik ihre Distanz zur NS-Vergangenheit in ihren ersten Jahrzehnten vor allem im Verschweigen und in der oftmals skandalösen Integration der Täter suchte, pflegte die DDR einen starren, mythologisierten Antifaschismus, der die zentrale historische Meistererzählung des sozialistischen Staates bildete. In den Jahren unmittelbar nach der Wiedervereinigung prägten zunächst totalitarismustheoretische Argumentationsmuster verstärkt die erinnerungspolitischen Diskurse. Oftmals ging es dabei darum, den Nationalsozialismus als einen Teilaspekt einer zweifachen „totalitären Diktaturerfahrung“ zu relativieren.

Während der 1990er Jahre änderte sich der Umgang mit der Geschichte: Gerade weil man aus der Geschichte gelernt und diese aufgearbeitet habe, müsse Deutschland nun wieder “Verantwortung“ in der Welt übernehmen. Die angeblich erfolgreich vollzogene „Vergangenheitsbewältigung“ bildet nunmehr einen der zentralen Referenzpunkte der Berliner Republik. Zudem ist zu beobachten, dass sich Grundzüge einer globalen Erinnerungskultur herausbilden, in der der Holocaust zwar zu einer Chiffre für das Menschheitsverbrechen schlechthin avanciert, dabei aber gleichzeitig dessen konkreten historischen Bezüge und Hintergründe verblassen.

Diese Entwicklung ist ambivalent, bietet sie doch Anknüpfungspunkte auch für die neuen deutschen Opferdiskurse, die um den Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung kreisen. Der Vortrag zieht zum einen eine kritische Bilanz der geschichtspolitischen Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte. Zum anderen sollen mögliche Entwicklungslinien künftiger Erinnerungskulturen skizziert werden.

 

Michael Sturm ist Historiker.